Öhlins RXF 36 im Test: Schwedisches Performance-Wunder?

2022-11-15 15:40:17 By : Mr. Kim Xu

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Öhlins RXF 36 im Test: Als die ersten Fahrrad-Komponenten des schwedischen Suspension-Spezialisten an Specialized-Bikes auftauchten und Tuning-Kartuschen für andere Gabeln angeboten wurden, war die Erwartungshaltung groß. Ein neuer Spieler, der mit Specialized einen starken Partner in der Industrie gefunden hat – markencharakteristisch in Gold und Gelb. Die Öhlins RXF 36 ist aber nicht mehr nur Specialized-Kunden vorbehalten, sondern kann ganz regulär erworben werden. Alles Hype oder müssen sich die anderen Hersteller am Markt warm anziehen? Wir haben die Schwedenforke getestet.

Blumige Performance-Begriffe Fehlanzeige: Die Firma Öhlins scheint mit wortkargen Nordmännern besetzt, die nicht besonders viel von ausgeschmückten Begriffen wie „Enduro“ oder „Trail“ zu halten scheinen – auf der Website ist der Einsatzbereich schlicht als „Universal MTB Universal“ ausgezeichnet. Was nichts heißen muss, im Gegenteil: Eine Fokussierung auf das Wesentliche ist oft gar nicht so schlecht.

Preis: 1.218,56 € (UVP) | Bikemarkt: Öhlins RXF 36 kaufen

Peng! Ziemlich hübsch. Elegant gewandet in Schwarz und Gold, so der erste Eindruck der RXF 36, als wir sie aus dem Karton nehmen. Vom farblich perfekt abgestimmten Gesamtbild scheint nur der blaue Druckstufen-Verstellknopf abzulenken, der wiederum aber zu den blauen Staubabstreifern passt. Öhlins scheint viel Wert auf Qualität zu legen, denn abgesehen vom farblich schicken Gesamtbild fällt auch das nahezu perfekte restliche Finish auf: Dazu trägt vor allem die Einheit aus Schaft und Krone bei, die den Gabelkonus bereits mit integriert. Solch ein komplex geschmiedetes Bauteil sieht man in der Bikebranche selten. Aber bevor wir an dieser Stelle zu sehr ins Schwärmen geraten – Bilder sagen bekanntlich mehr als Worte:

Die technischen Daten aller Federgabeln in unserem 29″ Enduro-Federgabel-Vergleichstest findet ihr in dieser Tabelle zum Ausklappen:

Komplexe Schmiedekunst hin oder her: In den neuesten Modellen verwendet Öhlins wieder eine zweiteilige Bauweise, der Schaft wird also in die Krone gepresst. In dieser Krone stecken glänzend schwarze 36 mm Standrohre, die durch blaue Staubabstreifer im Casting der Gabel verschwinden. Bei der Bremsaufnahme setzt Öhlins auf eine 7″ Post Mount Aufnahme, die es erlaubt, 180 mm Scheiben ohne Adapter zu fahren. An der Achse ist man auf Werkzeug angewiesen: Eine Klemmschraube fixiert die Schraubachse. Kleines Detail, große Wirkung: Klemmung und Achse lassen sich mit dem gleichen Innensechskant-Schlüssel öffnen.

Wer einen Mudfender montieren will, findet auf der Rückseite drei Schrauben, aber leider noch kein passendes Schutzblech von Öhlins – hier muss der Kunde noch warten. Letztes Alleinstellungsmerkmal, bekannt von älteren Marzocchi-Gabeln, sind die gegenüber den anderen Herstellern vertauschten Feder- und Dämpfungsseiten. Denn in der „Ramp-Up-Chamber“, deren Ventil auf der Unterseite sitzt, befindet sich Schmieröl. Öhlins will hier verhindern, dass beim Auslassen von Luft aus dieser Kammer Öl auf die Bremsscheibe kommt. Außerdem kann die rechte Hand an der Hinterradbremse (wenn man die Bremsen nicht vertauscht fährt) verbleiben, wenn man den Lockout bedient.

Öhlins setzt an der RXF 36 auf insgesamt drei Luftkammern. Zwei davon können unabhängig voneinander über Ventile befüllt werden. Über die Oberseite erreicht man die Positivfeder, an der Unterseite sitzt die sogenannte Ramp-Up-Chamber.

Wer die Progression der Öhlins RXF 36 anpassen möchte, kann dies bequem von außen über eine Dämpferpumpe und das zweite Ventil an der Unterseite der Gabel erledigen

Hier sollte man Folgendes nicht verwechseln: Die Ramp-Up-Chamber ist keine Negativ-Luftkammer – letztere lässt sich nicht extern befüllen und sitzt unter der Positivfeder, der Ausgleich der Federn geschieht über einen Überströmkanal. Vielmehr ist die Ramp-Up-Chamber eine weitere Luftkammer, die im Inneren des Schafts sitzt und die durch einen Trennkolben von der Positiv-Luftkammer abgeschottet ist. Durch diese lässt sich die Endprogression der Gabel unabhängig vom eigentlichen Luftkammervolumen anpassen, die Kennlinie bleibt dabei im Anfangsbereich des Federwegs relativ unverändert.

Ein klarer Vorteil der Öhlins RXF 36, denn bei den meisten anderen Systemen am Markt ändert man das gesamte Luftkammervolumen, womit sich auch die gesamte Kennlinie verändert. Braucht es an der Öhlins RXF 36 mehr Progression, muss man die Gabel nicht mit Werkzeug öffnen und Tokens oder Volumenspacer einbringen – Dämpferpumpe genügt.

Ein Nachteil dieses komplexeren Systems ist, dass sich der Aufbau grundsätzlich von anderen Luftfedern unterscheidet und keinen Platz für eine einfache Federwegs-Reduzierung bietet. Man kann also keine Spacer in der Negativ-Feder montieren, um die Gabel im Federweg zu reduzieren. Ähnlich wie bei RockShox und neuerdings bei FOX auch müssen hier Teile getauscht werden.

TTX nennt Öhlins seine Twin-Tube-Dämpfungskartusche. Hier sitzen, wie auch bei MRP, zwei Rohre ineinander: Im inneren Rohr wird dabei der Kolben durch das Öl gedrückt, durch den Spalt zwischen innerem und äußerem Rohr kann das Öl zirkulieren. Auf der Oberseite der Kartusche sitzt die Druckstufendämpfung, hier kann der Nutzer von außen Low- und Highspeed-Druckstufe einstellen. Technisch umgesetzt wird die Lowspeed-Dämpfung durch ein Nadelventil, welches je nach Einstellung weiter oder schmaler in einen Durchlasskanal geschoben wird. Bei der Highspeed-Dämpfung setzt man auf ein sogenanntes Clamp Shim: Ventilkopf und Shims stehen immer im gleichen Abstand zueinander, durch ein Verdrehen des Clamp Shims kann man diesen mehr oder weniger über die Öffnungen im Kolben drehen: So bekommen die Shims mehr bzw. weniger Platz um sich zu bewegen und die Dämpfung wird verringert bzw. erhöht.

Ein ähnliches Bild ergibt es bei der Zugstufen-Dämpfung: Hier ist allerdings nur das Nadelventil für die Lowspeed-Zugstufe von außen verstellbar. Bei Tuningwünschen der Zugstufe muss man deshalb ans Innenleben ran – dazu mehr im Abschnitt Tuning.

Umständlicher als erwartet stellte sich die Montage der RXF 36 dar. Schön ist die Kronen-Schaft-Einheit zwar, doch restlos kompatibel ist sie leider nicht. Liegt ein Steuersatz etwas tiefer im (Carbon-)Rahmen, bedarf es eines höheren Lagers, um ein Aufsitzen des Rahmens auf der Gabelkrone zu verhindern.

Weiterhin gibt Öhlins vor, dass für die korrekte Funktion ein Lager mit 45° Winkel am inneren Lagerring, 51,9 mm Außendurchmesser and 40 mm Innendurchmesser verwendet werden muss. Nachrüster sollten hier im Vorfeld genau messen und diese Vorgaben beachten, dann funktioniert die restliche Montage einwandfrei. Öhlins hat inzwischen aber reagiert und nachgebessert: Wie bereits angemerkt, wird die einteilige Einheit nicht mehr verwendet und man ist zurück auf ein konventionelles System gegangen, bei dem der Konus aufgeschlagen wird.

Wie beschrieben setzt Öhlins auf eine 7″ Bremsaufnahme. So muss man bei 180 mm Scheiben lediglich zwei Schrauben anziehen, die Bremse ausrichten und kann fast schon loslegen. Der Leitungshalter ist im Casting verschraubt und ohne viel Fummelei leicht mitsamt Leitung montiert. Auch an der RXF 36 sind die Ausfallenden etwas abgesetzt, um ein Einfädeln der Nabe zu erleichtern. Achse und Klemmschraube sind beide per 5 mm Innensechskant bedienbar – ganz ohne Multitool sollte man also nicht unterwegs sein.

Dank Luftdruckempfehlungen, die via Aufkleber an der Gabel angebracht sind, gelingt das erste Setup der Luftfeder zügig und ohne Probleme. Diese Empfehlungen findet man alternativ im Benutzerhandbuch oder online. Dabei ist allerdings zu beachten: Öhlins hat seine Luftdruckempfehlungen einmal überarbeitet, die aktuellen Empfehlungen wurden im digitalen Handbuch auf der Webseite nachgetragen.

Im Feld der Testgabeln siedelt sich Öhlins mit seinen Empfehlungen auf der straffsten Seite an. Lediglich 10 bis 15 % Negativfederweg sollte als Grundabstimmung gewählt werden. Beim weiteren Setup nach dem Luftdruck empfiehlt Öhlins mit Lowspeed-Druck- und Zugstufe bei 12 Klicks zu starten und die Highspeed-Druckstufe zunächst offen zu lassen. Beim Setup greift man zu Beginn oft intuitiv auf die falsche Seite. Hat man sich umgewöhnt und dreht an den Einstellern, fällt auf, dass die Zugstufe sehr gut gerastert ist, die Klicks sind deutlich spürbar. Weniger definiert, aber noch nachvollziehbar, sind die Verstellknöpfe von Low- und Highspeed-Druckstufe.

Auf dem Weg nach oben fällt ein Punkt unangenehm ins Gewicht, oder besser gesagt in die Geometrie: Aufgrund der geringen Sag-Vorgabe von nur 10 – 15 % kippt das Bike etwas mehr nach hinten, womit der Sitzwinkel flacher wird und das Vorderrad früher steigt. Gleicht man den Dämpfer – der nicht zwangsläufig auch mit 10 % Sag gefahren werden sollte – entsprechend an, wird das Heck zumeist zu straff. Trotz des geringen Sags bleibt die RXF 36 erstaunlich sensibel und willens, auch die kleinsten Unebenheiten auszubügeln. Möchte man komplette Ruhe an der Front auf längeren Asphalt-Anstiegen haben, kann man mit einem kurzen Griff zum Hebel an der Lowspeed-Druckstufe für Ruhe sorgen.

Begibt man sich in die Abfahrt, zeigt sich die Öhlins im Grundsetup trotz des geringen Sags von der freigiebigen Seite. Ihren Federweg nutzt sie aus, um jedes kleine Steinchen zu schlucken. In Kombination mit einem lineareren Hinterbau ergibt sich so das Gefühl, keinerlei Unebenheiten unter sich zu haben. Dabei hilft die gut arbeitende Zugstufe, die Gabel in moderatem Gelände schnell in die Ausgangsposition zurückzuholen. Jeder Lenkimpulswird direkt umgesetzt, woran nicht zuletzt die einteilige Konstruktion aus Krone und Schaft beteiligt sein könnte.

Geht man in steileres und schnelleres Gelände mit entsprechenden schnellen Schlagfolgen, landet man schnell am äußersten Ende des Verstellbereichs der Dämpfung – dieser Bereich fällt gegenüber der anderen Gabeln im Test nicht sonderlich groß aus. Als Lösung gilt es, die Luftfeder öfter und genauer auf die jeweiligen Bedürfnisse sowie das Gelände abzustimmen.

Ein sehr erfreulicher Umstand hierfür sei nochmals erwähnt: Man muss dafür die Gabel nicht öffnen, um mit Volumenspacern oder Öl eine passende Progression zu finden. Eine simple Dämpferpumpe genügt. Diese setzt man an der Unterseite des Castings an und befüllt die Ramp-Up-Chamber. Die RXF 36 bleibt auch mit viel Druck in dieser Kammer sehr lebendig. Trotz der regen Ausnutzung des Federwegs ermöglicht die Öhlins RXF 36 einen guten letzten Notfallpuffer bei harten Landungen. Schlagenergie vom Untergrund wird in der Gabel weniger stark in der Dämpfung abgebaut: Auf langen Abfahrten sollte man sich eher auf eine etwas schnellere Zugstufeneinstellung einlassen, um die Hände zu schonen.

Um die Öhlins RXF 36 passend abzustimmen, sollte man sich viel Zeit auf dem Trail nehmen, um die Kennlinie mithilfe der Dämpferpumpe anzupassen. Die Dämpfung bietet selbst im komplett geschlossenen Zustand relativ wenig Gegenhalt: Wir landeten von den Druck-Empfehlungen für das entsprechende Fahrergewicht ungefähr 15 kg über den Vorgaben von Öhlins.

Wer mit der Gabel ab Werk nicht glücklich wird, kann auf ein umfassendes Tuning-Programm zurückgreifen. Die Schweden bieten diverse Dämpfungssettings, die unter anderem am Prüfstand getestet und vermessen wurden – so kann der Kunde vorab schon sehen, welcher Tune sich wie auf die Dämpfungskennline auswirken sollte. Damit will Öhlins die Entscheidung vereinfachen und dem Kunden einen deutlichen Mehrwert bieten. Entscheidet man sich für ein Tuning, wird allerdings immer die gesamte Kartusche überarbeitet, also sowohl Druck- als auch Zugstufen.

Das Thema Service und Ersatzteilpolitik läuft bei Öhlins gerade an. Nachdem die Gabeln zunächst ausschließlich für Specialized gebaut wurden, war nicht angedacht, Ersatzteile wie einen anderen Airshaft anzubieten. Öhlins arbeitet aber gerade an einer entsprechenden Versorgung des Endkunden, weitere Informationen dazu gibt es hier.

Wer vom Untergrund nichts mehr spüren möchte und eher in moderatem Gelände unterwegs ist, wird mit der Öhlins RXF 36 den fliegenden Teppich finden. Ihr schmaler Druckstufenbereich verhindert, dass man sich in zu vielen Einstellmöglichkeiten verirren kann. Wer in grobem Gelände unterwegs ist, sollte etwas mehr Zeit in das Setup der Kennlinie stecken, um die Gabel hoch genug im Federweg stehen zu lassen.

Hier findest du alle weiteren Artikel unseres 29″ Enduro-Federgabel-Vergleichstests 2018:

Im Rahmen des Federgabeltests wurden über mehrere Monate die Gabeln zwischen verschiedenen Testern durchgetauscht. Wichtig war an dieser Stelle vor allem, dass jeder Tester die Gabeln in seinem eigenen Bike fährt. So herrscht für jedes Produkt Chancengleichheit. Auch das Wetter ist hinsichtlich des langen Testzeitraums vernachlässigbar. Jede Federgabel wurde in unterschiedlichen Bedingungen gefahren und musste sich von trocken, staubigen Böden, bis hin zu nassen Verhältnissen beweisen.

Hier haben wir die Öhlins RXF 36 getestet

Um euch den bestmöglichen und breitesten Testeindruck zu bieten, fahren immer mehrere Tester ein Bike. Neben den aufgeführten Testern mit detaillierten Profil arbeiten wir immer mit weiteren Fahrern unterschiedlicher Könnerstufen, Gewichte, Körpergrößen sowie Vorlieben zusammen. Im direkten Dialog stellen wir das richtigen Setup sicher und dokumentieren in gemeinsamen Ausfahrten die Eindrücke. Dies stellt sicher, dass wir alle Eigenheiten eines Bikes in allen Bereichen beurteilen können.

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